Das Projekt in der Presse
Mehr Leben auf dem Öko-Acker 03.09.2002        Frankfurter Rundschau
Mümmelmann in der Defensive
31.03.2002 Berliner Morgenpost
Volkszählung bei den Feldhasen
28.03.2002 Berliner Zeitung


Mehr Leben auf dem Öko-Acker
Wie der Ökologische Landbau noch naturschutzfreundlicher gestaltet werden kann, als er es jetzt schon ist, untersucht Sarah Fuchs im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) im brandenburgischen Ökodorf Brodowin im Norden von Berlin. FR-Mitarbeiter Roland Knauer wollte wissen, welche Vorteile die Vogelwelt vom Bio-Landbau hat.

FR: Bevorzugen bestimmte Vögel den Öko-Acker?

Sarah Fuchs: Es gibt sehr deutliche Unterschiede. Im Feld brütende Vögel sind auf den Feldern der biologischen Landwirtschaft viel häufiger als auf dem herkömmlichen Acker. In Schleswig-Holstein finden Sie auf zehn Hektar Getreide ein oder eineinhalb Lerchen-Reviere. In Brandenburg dagegen sind es drei bis vier Reviere, auf den wirklich guten Flächen können es sogar sechs bis acht sein. Ökobetriebe hier haben also ungefähr drei bis vier mal mehr Lerchen als intensiv genutzte konventionelle Äcker.

Geht es nur um die Lerche?

Nein, denn während auf den herkömmlichen Feldern eigentlich nur noch die Lerche vorkommt, brüten auf dem Öko-Acker oft noch drei oder vier weitere Arten wie Schafstelze, Grauammer, Braunkehlchen und Wachtel. Die Biodiversität ist dort also im Hinblick auf die Vögel erheblich höher.

Wie untersuchen Sie denn die Vogeldichten?

Wir bestimmen zum einen, wie viele Exemplare verschiedener Vogelarten sich auf den verschiedenen Äckern aufhalten. Auf den Feldern mit besonders vielen Vögeln suchen wir zum Beispiel die Nester und kontrollieren die Zahl der aus den Eiern schlüpfenden sowie der später flügge werdenden Küken. Gleichzeitig untersuchen wir auch, ob landwirtschaftliche Maßnahmen Bruten zerstören. Die mechanische Unkrautbekämpfung im ökologischen Landbau droht ja die Nester zu zerstören oder die Küken zu töten.

Weshalb erzeugt die Bewirtschaftungsmethode so große Unterschiede?

Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. So wechselt ein Ökobauer auf dem gleichen Feld zwischen bis zu acht verschiedenen Nutzpflanzen, während der konventionelle Landwirt oft nur noch zwei verschiedene Produkte wie Raps und Winterroggen nacheinander anbaut. Die Vielfalt beim Ökobauern garantiert den Vögeln immer einen günstigen Brutplatz. Der Mineraldünger sorgt beim konventionellen Landbau dafür, dass im Mai das Wintergetreide so dicht steht, dass dort kein Vogel mehr landen kann. Da der Biolandbau keinen löslichen synthetischen Mineraldünger verwendet, steht das Getreide dort nicht so dicht.

Gibt es weitere Unterschiede?

Der Verzicht auf Agrarchemikalien lässt auf dem Bio-Acker Unkräuter wachsen, auf denen kleine Insekten leben, die wiederum Futter für die Nestlinge sind. Die Bedingungen sind im ökologischen Landbau einfach erheblich günstiger für die Vogelbrut.

Kann man die an sich gute Situation für die Vögel im ökologischen Landbau noch weiter verbessern?

Genau das ist unser Ziel. Wir untersuchen in dieser Hinsicht zum einen Getreidefelder, auf denen im Frühjahr das Unkraut mechanisch bekämpft wird. In diesem Jahr haben wir festgestellt, dass die Vögel erst nach dieser Bodenbearbeitung mit dem Brüten begonnen haben. Vielleicht hat also die Bearbeitung gar keinen Einfluss auf den Bruterfolg. Ganz anders sieht es dagegen auf den Kleegras-Äckern aus, die regelmäßig gemäht werden, um Viehfutter zu gewinnen. Das Mähen aber kann für am Boden brütende Vögel eine Katastrophe sein.

Was folgern Sie daraus?

Wir wollen jetzt herausbekommen, wie lange man nach einer Mahd warten muss, bis die Vögel ihre Brut groß gezogen haben. Oder wir mähen statt sechs Zentimeter über dem Boden das Kleegras erst in zwölf Zentimeter Höhe ab und hoffen, dass die Jungvögel sich unter dem Mähwerk ducken können.

Erntet der Bauer so nicht weniger und verliert dadurch einen Teil seines Einkommens?

Genau das untersuchen wir ebenfalls. Beim Hochschnitt erntet der Bauer zwar natürlich weniger Masse. Gleichzeitig bleibt aber der untere Teil des Kleegrases auf dem Acker, der sehr viele Fasern enthält. Dadurch steigt die Qualität des Futters.

Ist die Umstellung kostenneutral?

Bestimmte Maßnahmen werden Geld kosten. In diesen Fällen bestimmen wir, wie hoch der Verlust durch eine solche ökologische Maßnahme ist.

Profitieren nur die Vögel von solchen Öko-Maßnahmen?

Wir untersuchen auch andere Tiere und Pflanzen. Der Feldhase wird zum Beispiel durch größere Abstände zwischen dem Mähen und größere Schnitthöhen ebenfalls profitieren, weil seine Jungtiere sich auf dem Ackerboden verstecken.

Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Autor: Roland Knauer


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Mümmelmann in der Defensive
Riesige Ackerflächen und allzu üppige Frühlingswiesen machen Hasen das Leben schwer

Knallrot leuchten zwei Punkte auf. Eine Silhouette mit langen Ohren schält sich Sekunden später aus dem Dämmerlicht, das der Suchscheinwerfer auf dem Geländewagen in rund hundert Metern Entfernung erzeugt. Sarah Fuchs hat einen Hasen entdeckt.
Die junge Wissenschaftlerin zählt die Mümmelmänner, um zu erfahren, ob sie sich auf den Äckern des Ökodorfes Brodowin im Nordosten Brandenburgs wohl fühlen oder nicht. Da man Hasen - im Gegensatz zu Kaninchen - tagsüber kaum entdeckt, schlägt sich Sarah Fuchs die Nächte um die Ohren. Jedes Mal wenn ein knallrotes Augenpaar im Scheinwerferlicht auftaucht, notiert sie auf einer exakten Landkarte, wo der jeweilige Hase zuhause ist.

Vom Feldweg aus funktioniert die Zählerei im Osten Deutschlands allerdings nicht. «In Süddeutschland fährt man eine Stunde über Feldwege und hat damit hundert Hektar der relativ kleinen Äcker und Wiesen abgeleuchtet», erklärt Sarah Fuchs. Das ist in Brandenburg anders. Vom Weg aus würde sie allenfalls einen Bruchteil des Geländes absuchen können. Denn die ehemaligen LPG-Äcker umfassen bis zu 60 Hektar. 652 Hektar hat Sarah Fuchs im Oktober 2001 nachts nach Hasen durchkämmt.

Vom Feldweg aus hätte sie gerade mal elf Mümmelmänner entdeckt. Sarah Fuchs aber zieht ihre Schleifen mit dem Geländewagen quer über die Äcker und zählte so 95 Hasen in ihrem Untersuchungsgebiet.

Zwar könnte man die vom Weg aus gezählten Hasen einfach auf die gesamte Fläche hochrechnen. Solchen Kalkulationen aber steht Sarah Fuchs recht skeptisch gegenüber: «Wenn die Felder im Herbst abgeerntet und kahl sind, halten sich Hasen gern in der Nähe von Hecken und Säumen auf, die ihnen Deckung und Nahrung geben. Da die meisten Büsche an Wegrändern stehen, hoppeln dort vermutlich erheblich mehr Hasen über die Furchen als in der Mitte eines Ackers», erklärt sie. Eine lineare Hochrechnung würde den Bestand in der typischen Agrarsteppe also vermutlich erheblich überschätzen.

Auf den ersten Blick scheinen die hohen Bestandszahlen von Sarah Fuchs diese Überlegung jedoch zu widerlegen. Zehn bis fünfzehn Hasen zählt die Forscherin auf jeweils hundert Hektar. Der Landesjagdverband dagegen hat die Feldwege abgefahren und die von dort gezählten Hasen auf die gesamte Ackerfläche hochgerechnet. Nur fünfeinhalb Hasen teilen sich demnach statistisch jeweils hundert Hektar Brandenburger Ackerfläche. Es sieht also so aus, als würde die Hochrechnerei den Bestand der Mümmelmänner nicht über-, sondern sogar unterschätzen. Das unterstreicht auch eine Zahl von Sarah Fuchs: Auf Äckern mit Kleegras zählt die Forscherin die rekordverdächtige Zahl von 22,8 Hasen pro hundert Hektar.

Spätestens an dieser Stelle wird es Zeit, den Forschungsansatz von Sarah Fuchs genauer anzuschauen. Die Wissenschaftlerin untersucht im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz nicht irgendwelche Äcker, sondern inspiziert die Felder eines Ökobetriebes. Vielleicht gibt es auf einem Ökobetrieb also einfach mehr Hasen als im konventionellen Landbau?

«Am Ende möchten wir wissen, wie wir dem Hasen das Leben erleichtern können», umreißt Sarah Fuchs ein Ziel des Projektes. Die Bedürfnisse der Mümmelmänner sind mit einem Satz erklärt: «Der Hase ist ein Tier der Steppe.» Deshalb findet man ihn selten im Wald, Hasen sind in der Agrarlandschaft zuhause. Die aber hat sich vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg dramatisch zu ihren Ungunsten verändert, kritisieren Naturschützer. «Der Osterhase stirbt aus», hat bereits mehr als eine Zeitung getitelt.

Vor allem ein Grund ist für den Rückgang verantwortlich, der den Hasen einen Platz auf der Roten Liste beschert hat: Heute ist die Landwirtschaft erheblich intensiver als noch vor fünfzig Jahren. Wenn im Mai fast jede Häsin Junge hat, liegen die Junghasen dank Kunstdünger in einer erheblich dichteren und höheren Vegetation als früher. Für den an das trockene Klima der Steppe angepassten Hasen kann sich das in einem feuchten Frühjahr fatal auswirken. «Dann verfaulen die Jungen,» drücken es Jäger drastisch aus.

Ganz anders sieht die Situation dagegen im Kleegras des Ökodorfes Brodowin aus. Ohne Kunstdünger steht das Grün dort erheblich niedriger als in der konventionellen Flur. Das Mikroklima ähnelt schon eher der Steppe, und die Jungen überstehen auch ein feuchtes Frühjahr erheblich besser. «Die Sterblichkeit der Jungen ist ein wichtiger Grund, warum in Deutschland die Zahl der Hasen zurück geht,» vermutet Sarah Fuchs aus einem einfachen Grund: Alle anderen Faktoren, die einen Rückgang des Bestandes verursachen könnten, scheinen ausgeschlossen zu sein.

Hierzulande überstehen die Mümmelmänner zum Beispiel den Winter meist recht gut. Und Füchse haben nicht die geringste Chance, einen gesunden Hasen zu fangen. Die Jungen erwischt er ebenfalls kaum, weil sie überhaupt keinen Geruch besitzen. Die Häsin wiederum hütet sich, den Fuchs zu ihren Jungen zu führen: Sie säugt den Nachwuchs ganze zwei Minuten in der Abenddämmerung und lässt ihn den Rest des Tages und der Nacht allein.

Auch die Fruchtbarkeit der Mümmelmänner ist in Ordnung, zeigt Mirja Fassbender vom Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin mit aufwändigen Untersuchungen. Wenn sich auch die Jäger noch zurückhalten, bleibt dann wirklich nur noch die Sterblichkeit der Jungtiere als Ursache, wenn es mit der Zahl der Hasen bergab geht. Und die ist nach den Zahlen von Sarah Fuchs vielleicht tatsächlich auf dem Öko-Acker geringer.

Dennoch sucht Sarah Fuchs nach Möglichkeiten, die Überlebensraten der Junghasen weiter zu steigern. Sind die Tiere noch klein, ducken sie sich bei Gefahr einfach auf den Boden und verlassen sich darauf, dass der Fuchs sie nicht riecht. Gegen das Mähwerk eines Traktors aber hilft diese Taktik wenig. Wenn man das Mähwerk also statt in acht Zentimetern in vierzehn Zentimetern Höhe über den Acker sausen lässt, dürften demnach erheblich mehr Junghasen die im Mai übliche Kleegras-Mahd überstehen, hofft die Forscherin. In diesem Frühjahr will sie ihre Theorie dann auch gleich testen. Auch Amphibien werden vom tief fahrenden Mähwerk eher niedergemetzelt als vom höheren.

Normalerweise tummeln sich Hasen faul innerhalb eines recht kleinen Gebietes. Sorgt der Bauer also für eine engmaschige Vielfalt auf seinen Flächen, wird der Hase viel leichter die richtige Struktur finden als in einem hundert Hektar großen monotonen Getreidefeld. Deshalb sollen in Brodowin die Äcker verkleinert werden und nebeneinander immer andere Feldfrüchte angebaut werden, so dass der Hase ausweichen kann. Davon profitieren auch die kleinen Amphibien, die kleinere Felder viel schneller durchqueren als große. Spätestens dann sollte Sarah Fuchs auf ihren nächtlichen Streifzügen mit dem Geländewagen und bewaffnet Notizblock und Stift auch noch mehr rote Punkte auf den Feldern entdecken.

Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Autor: Roland Knauer


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Volkszählung bei den Feldhasen
Die Biologin Sarah Fuchs untersucht, wie Landwirte ihre Felder hasenfreundlicher gestalten können

In manchen kalten Nächten des Frühjahrs geschehen verdächtige Dinge rings um das brandenburgische Dorf Brodowin. Da holpert jenseits aller Wege ein Geländewagen im Schritttempo über den Acker. Plötzlich durchschneiden helle Scheinwerfer die Dunkelheit, tasten sich Meter für Meter über den Boden, leuchten den Waldrand ab. Dann fährt das Auto weiter.

"Damit ich nicht als Schmugglerin verhaftet werde, habe ich vor der ganzen Aktion die Polizei informiert", erzählt Sarah Fuchs amüsiert. Was nach kriminellen Aktivitäten aussieht, ist nämlich in Wirklichkeit seriöse Wissenschaft: Die Biologin arbeitet an einer Feldhasenstudie auf den Flächen des Ökohofs Brodowin. Sie will herausfinden, wie viele Hasen dort hoppeln und wie man den Tieren das Leben erleichtern kann. "Bisher gibt es zwar Zählungen auf den Feldern konventioneller Höfe", erläutert Fuchs. Inwieweit aber Hasen vom Ökolandbau profitieren, hat noch niemand genau untersucht.

Also hat die Biologin im letzten Herbst eine erste Volkszählung unter Brodowins Langohren durchgeführt. Nun folgt der zweite Durchgang, um die Winterverluste festzustellen. Am besten macht man so etwas bei Nacht vom Auto aus. Denn tagsüber hat man kaum eine Chance, die in einer Mulde ruhenden Hasen zu entdecken. Da muss man schon warten, bis sie in der Dunkelheit auf Nahrungssuche gehen. Vor nächtlichen Fußgängern aber würden die flinken Tiere sofort flüchten, bevor man sie registriert hat. Während Sarah Fuchs also den Wagen durch die Furchen und Senken des Stoppelfeldes steuert, halten zwei Kollegen je einen Scheinwerfer aus den Seitenfenstern. Sie leuchten einen bis zu 150 Meter breiten Feldstreifen damit ab, dann wird gewendet und der nächste Streifen ist dran.

Zunächst offenbart das Scheinwerferlicht wenig Spektakuläres. Immer wieder entpuppt sich das vermeintliche Langohr dann doch nur als Erdklumpen. Doch plötzlich glimmt ein rotes Auge auf - typisch für einen Hasen. An der Farbe der reflektierenden Augen, an ihrem Abstand zueinander und an der Höhe über dem Boden erkennen Experten, welche Tierart sie vor sich haben. So hell, dass man das auch auf größere Entfernung immer eindeutig sehen kann, ist das unsichere Licht des Scheinwerfers schließlich nicht. Doch in diesem Fall ist die Diagnose klar: Eine Silhouette mit langen Ohren richtet sich im Scheinwerferkegel auf, dreht sich dann um und hoppelt eher gemächlich davon. Und die Biologen zeichnen einen weiteren Punkt in ihre Hasenkarte ein. "Hasen laufen in der Regel nicht weit, deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sie zweimal zählt gering", erklärt Sarah Fuchs, während sie die Stelle noch einmal genau mustert. Denn wo ein Hase sitzt, ist oft auch noch ein zweiter in der Nähe.

So geht das die halbe Nacht lang. Immer wieder rote Augen und Hasensilhouetten. Dann plötzlich vier Paar leuchtend gelbe Augen, die das Auto aus größerer Höhe mustern. Was die Biologen erst für Rehe gehalten hatten, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Damwild. Ab und zu schwirrt im Scheinwerferlicht eine Lerche auf. Auch ein Fuchs ist unterwegs, dessen nahe zusammenstehende Augen weißlich-gelb funkeln. Nach etwa zwei Stunden haben die Forscher zwei Äcker mit 55 Hektar ausgeleuchtet und 13 Hasen notiert - das sind etwa so viele wie im Herbst.

Ob das viel oder wenig ist, lässt sich schwer beurteilen. Der Deutsche Jagdschutzverband (DJV) hat vor wenigen Tagen die Ergebnisse der ersten bundesweiten Hasenzählung veröffentlicht. Je nach Region seien die Hasendichten sehr unterschiedlich, heißt es darin. So finden die Jäger mancherorts nicht einmal einen Hasen auf 100 Hektar, während in anderen Gegenden auf der gleichen Fläche mehr als hundertsiebzig Tiere hoppeln. Zu den besonders hasenarmen Regionen zählen offenbar Ostdeutschland und Berlin. In 84 Prozent der untersuchten Reviere hat der DJV dort weniger als zehn Tiere pro 100 Hektar gezählt. Sarah Fuchs kommt in Brodowin bei gleicher Flächengröße im Durchschnitt auf fünfzehn bis sechzehn Hasen.

"Diese Angaben kann man allerdings nur schwer vergleichen", sagt die Biologin. Denn die DJV-Zähler haben die Tiere von Feldwegen aus registriert. Das ist zwar die Standardmethode, funktioniert aber auf den großen Äckern Ostdeutschlands nicht besonders gut. Also hat Fuchs 652 Hektar Brodowiner Felder komplett abgeleuchtet. "Hätte ich nur die vom Weg aus sichtbaren Tiere gezählt, käme ich auf fünf bis sechs Exemplare pro 100 Hektar", verdeutlicht die Biologin den Unterschied.

Bei derlei methodischen Schwierigkeiten kann also derzeit niemand genau sagen, wie viele Hasen nun tatsächlich über Deutschlands Felder hoppeln. Naturschützer wie Jäger stellen allerdings fest, dass es weniger sind als früher. Immerhin steht der Feldhase inzwischen als "gefährdet" auf der Roten Liste der bedrohten Arten Deutschlands. Über die Ursachen des Hasenschwundes gibt es allerdings heftige Kontroversen. Das Spektrum der Theorien reicht von Lebensraumzerstörung über Krankheiten bis hin zu klimatischen Einflüssen. Jäger führen es oft auf die angeblich zu hohen Fuchsdichten zurück.

Zumindest eine Ursache können Wissenschaftler am Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin inzwischen weitgehend ausschließen. Pestizide mit hormonähnlichen Wirkungen hätten das Fortpflanzungssystem der Langohren durcheinander gebracht, lautete dieHypothese. IZW-Mitarbeiterin Mirja Fassbender hat daraufhin in Nordrhein-Westfalen Hasen gefangen, ihnen Blut- und Haarproben abgenommen und sie mit Ultraschall untersucht. "Dabei haben wir keine Störung der Reproduktionsleistung feststellen können", sagt Fassbender. Sie und ihre Kollegen wollen daher nun nach anderen Ursachen suchen. Möglicherweise liege das Problem in einer erhöhten Sterblichkeit der Jungtiere.

Ähnlich denkt Sarah Fuchs: "Auf vielen konventionell bewirtschafteten Feldern finden Junghasen wahrscheinlich keine optimalen Bedingungen mehr." Als ursprüngliche Steppentiere brauchen Hasen ein trockenes Mikroklima und eine nicht zu hohe Vegetation. Gern halten sie sich daher zum Beispiel auf Brodowins Kleegrasfeldern auf. Dort hat Sarah Fuchs die höchsten Hasendichten des ganzen Betriebes gezählt. Kleegras als Viehfutter wächst zwar auch auf den Feldern konventioneller Betriebe. Doch dort werden die Flächen gedüngt, weshalb sich rasch eine hohe, dichte Vegetation entwickelt. Und darunter ist es den jungen Hasen offenbar zu feucht. Zudem fährt im konventionellen Betrieb häufiger der Mäher über die Fläche. Gegen umherstreifende Füchse hilft die Strategie "ducken und nicht bewegen" zwar gut, bei einem heranrückenden Mähwerk endet sie aber für den Junghasen oft tödlich. Versuche auf Brodowins Feldern sollen in diesem Frühjahr zeigen, ob man diese Gefahr durch einen so genannten Hochschnitt entschärfen kann, bei dem statt in etwa 8 Zentimetern in 14 Zentimetern Höhe gemäht wird.

Dieser Versuch ist Teil einer Gesamtstrategie, mit denen Landwirte und Biologen in Brodowin den Hasen das Leben leichter machen wollen. Beispielsweise werden die einzelnen Felder auf maximal 25 Hektar verkleinert, auf benachbarten Flächen sollen möglichst unterschiedliche Feldfrüchte wachsen. Verhaltensstudien haben nämlich gezeigt, dass ein Hase freiwillig kaum mehr als fünfhundert Meter zurücklegt, wenn er alle nötigen Strukturen auch in der Nähe findet. Ein "hasenfreundlicher" Betrieb müsste den Langohren also abwechslungsreiche Strukturen auf kleiner Fläche bieten. Ob dieses Konzept aufgeht, will Sarah Fuchs im nächsten Jahr überprüfen, indem sie einigen Brodowiner Langohren Sender umhängt und so ihren Aktionsradius beobachtet.

Die Umgestaltung der Felder soll aber nicht nur den hoppelnden Ackerbewohnern zugute kommen. Die Hasenstudie ist nur ein Teil eines vom Bundesamt für Naturschutz finanzierten größeren Projektes. In Brodowin sollen Experten Methoden entwickeln, wie Ökobetriebe gleichzeitig Gewinn machen und zum Schutz von Arten und Lebensräumen beitragen können. Der Feldhase steht dabei nur stellvertretend für die anderen gefährdeten Bewohner der Agrarlandschaft.

Copyright © Berliner Zeitung 2002
Autor: Kerstin Viering


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